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Stellungname: Imke Rust 25.9.2023 (Hintergrund der Vorgänge)
Programbeschwerde: Imke Rust, Charlotte Zeraua, Markus Lägel 10.11.2023
PRESSE: Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag festgestellt 17.5.2024
Offizielles Antwortschreiben vom Rundfunkrat, 7.6.2024
Zitate aus der NDR Rundfunkratssitzung 17.5.2024
Zitate aus der NDR Rundfunkratssitzung 17.5.2024
Offizielles Antwortschreiben vom Rundfunkrat, 7.6.2024

Hier können sie den § 8 NDR-StV – Gestaltung des Angebots nachlesen.
UPDATE: 19. Mai 2023
NDR Doku ‘Deutsche Schuld’ verstößt gegen Staatsvertrag
Unserer Beschwerde beim Rundfunkrat des NDR wurde am 17. Mai 2024 stattgegeben. Zum ersten Mal nach 20 Jahren wurde eine Verletzung des Rundfunkstaatsvertrages festgestellt. Die Doku oder Teile davon, darf nicht mehr gezeigt oder verbreitet werden.
Der Intendant (Joachim Knuth, NDR) räumt Fehler ein und sagt “Die Verantwortung für eine solche missglückte Dokumentation liegt ausschliesslich bei uns. (…) wir haben aus diesem Vorgang eine Menge gelernt, uns wird, jedenfalls an diese Stelle, sowas nicht wieder passieren.”
Der Rundfunkrat hat auch uns Beschwerdeführer gedankt. Ohne uns wären ihnen die Fehler gar nicht aufgefallen.
Ich danke allen Unterstützern und weiteren Beschwerdeführern.
Weitere Links zur Presse:
Deutschlandfunk.de: Warum die Namibia-Doku gegen den NDR-Staatsvertrag verstößt
„Deutsche Schuld“ Warum die Namibia-Doku gegen den NDR-Staatsvertrag verstößt
Der NDR-Rundfunkrat hat entschieden, dass die Dokumentation „Deutsche Schuld“ gegen den Staatsvertrag des NDR verstößt. Sie sei nicht ausreichend recherchiert gewesen, so der Vorsitzende Dietmar Knecht. Kritik gab es auch am Presenter-Format. Dietmar Knecht im Gespräch mit Sebastian Wellendorf | 22.05.2024
BILD.de: Historische Klatsche: ARD-Doku verstößt gegen Rundfunkstaatsvertrag
Watson.de: ARD-Doku über Namibia: Rundfunkrat fällt vernichtendes Urteil
Presseportal.de: Rundfunkrat diskutiert Corona- und Namibia-Berichterstattung
DWDL.de: “Missglückt” ‘Deutsche Schuld’ hat gegen NDR-Staatsvertrag verstoßen
Redaktionsnetzwerk Deutschland / rnd.de: Nach Kritik: ARD stoppt Verbreitung von Doku über Namibia
evangelische-zeitung.de: NDR-Rundfunkrat gibt Beschwerden gegen Namibia-Doku statt
Kress-der Mediendienst: NDR-Rundfunkrat rüffelt Namibia-Doku “Deutsche Schuld”
AZ Namibia: NDR-Dokumentarfilm doch unseriös – Rundfunkrat erkennt einen Verstoß gegen Staatsvertrag
Die Medien-Woche: MW266 AI-Ärger, Namibia-Doku und WDR-Intendanten-Karussell (ab Minute 23:20)
Hitradio Namibia: Umstrittene Namibia Doku verstösst gegen Saatsvertrag
UPDATE: Am 10.November 2023 habe ich, gemeinsam mit zwei weiteren Protagonist:innen des Filmes, Charlotte Zeraua und Markus Lägel, eine offizielle Programbeschwerde eingereicht:
10. November 2023
Formale Programmbeschwerde gegen die Dokumentation „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“, wegen falschen Versprechungen und Manipulation gegenüber den Protagonisten, Missrepräsentation und Voreingenommenheit, falschen Informationen und daraus resultierender Verletzung der persönlichen Ehre
Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,
Wir (Imke Rust, Markus Lägel und Charlotte Zeraua) möchten uns als ProtagonistInnen der NDR-Dokumentation der Produktionsfirma Eikon (NDR/MDR/RBB/SWR) „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ mit einem kurzen Statement äußern. Die Dokumentation fand statt unter der inhaltlichen Regie von Frau Silvia Palmigiano und Mitverantwortung von Christine Gerberding (NDR), Susanne Sturm (NDR), Ulrike Bieritz (RBB) und Ulrike Häfner (SWR) verantwortet wurde, und von Frau Aminata Belli als Moderatorin präsentiert.
Jeder Person von uns sind umfassende Gerechtigkeit und Versöhnung in Namibia wichtig – gerade im Blick auf die deutsche Vergangenheit in Namibia.
Wir sehen uns nun in einer Dokumentation dargestellt, die uns und unsere Absichten und Aussagen nicht in dem Sinne darstellt, wie es unserer Haltung entspricht – und wie es vorab mit uns kommuniziert und besprochen wurde. Uns wurden allen gänzlich andere Arbeitstitel und Ausrichtung für den Dreh genannt. Niemand von uns hatte das Ziel einer Dokumentation unter diesem Titel, Format und dieser Ungenauigkeit zu sein.
Wir empfinden, dass diese Dokumentation, wie sie erschienen ist, weder dem Thema, dem Leben in Namibia, noch uns als ProtagonistInnen gerecht wird. Dem Anliegen von Versöhnung und Gerechtigkeit hilft diese Art der Darstellung auch nicht weiter, sondern schadet ehr. Durch die Art und Weise der Dokumentation empfinden wir uns benutzt und in unser persönlichen Ehre verletzt.
Wir bitten sie dazu die einzelnen Statements von uns, die diesem Schreiben angehängt wurden und die auch an die Redaktion der NDR geschickt wurden, zu lesen.
Außerdem bitten wir ausdrücklich darum, diese Dokumentation nicht mehr öffentlich in der Mediathek oder anderswo zu verbreiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Charlotte Zeraua (Klicken sie hier, um ihr Statement zu lesen)
Markus Lägel (Klicken sie hier um sein Statement zu lesen.)
Imke Rust (Klicken sie hier um mein Statement/Beschwerde zu lesen)
Folgend finden sie meine Beschwerde als PDF.
Zusammengefasst geht es darin um:
1. Falsche Versprechen/Abmachungen an die sich nicht gehalten wurden.
2. Zwei Protagonisten werden für den Dreh eingeflogen… ein 3ter lebte auch nur kurzzeitig in Namibia – das soll ein authentisches Bild vor Ort sein?
3. Interview Führung und Verurteilung statt offenes Zuhören oder neutrales Berichten
4. Schuld oder Heilung?
5. Kolonialistisches Verhalten
6. Reaktionen auf Kritik und Beschwerden
7. Die posthume Verleumdung von Missionar August Kuhlmann
8. Anpassung des Filmes wirft neue Fragen und Kritik auf:„Authentisch und multiperspektivische Einblicke in das heutige Namibia.“ Ehrlich?
Fazit: Diese Dokumentation ist ein großer Vertrauensmissbrauch gegenüber den Protagonisten. Aber er stellt auch die Vertrauenswürdigkeit der Medien in Frage, wenn es so viele Ungenauigkeiten gibt und der Film sein Anspruch auf Authentizität, durch falsche Versprechen, eingeflogene Protagonist:innen und vorgegebene Drehorte verspielt.
Stellungnahme (Imke Rust) vom 26. September 2023
Wichtige Information vorweg
Ich bin gebürtige Namibierin, mein erster Vorfahr kam 1874 ins heutige Namibia.
Meine Familie lebt nun schon seit knapp 150 Jahren in diesem Land.
Ich beschäftige mich seit 2004 mit Namibias Geschichte und recherchiere intensiv dazu.
Ich bin weiß, meine Muttersprache ist deutsch.
Seit 2014 lebe ich in Deutschland (bei Berlin) und in Namibia.
Der Genozid an den Herero und Nama war ein Menschenrechtsverbrechen, das ich aufs stärkste verurteile, das mich sehr betroffen macht und das mich dazu bewegt herauszufinden wie es dazu kommen konnte und welche Rolle meine Vorfahren dabei gespielt haben. Da wir die Geschichte nicht ungeschehen machen können, ist es mir vor allem wichtig zu verstehen, wie wir heute vermeiden können wieder in ähnliche Situationen zu geraten und die gleichen Fehler zu wiederholen.
Von 1884 bis 1915 war Namibia eine deutsche Kolonie.
Zwischen 1915 – 1990 (75 Jahre) stand Namibia unter südafrikanischer Mandatschaft und ihrem Apartheidssystem.
Seit 1990 ist Namibia unabhängig.
(M)ein Blick hinter die Kulissen
Die Vorgeschichte zum Dreh
Als die Einladung kam, wunderte ich mich. Eine Anfrage zur Beteiligung an einer Doku, mit Blick auf die Missionsgeschichte während der Kolonialzeit, hatte ich schon im vorigen Jahr angeboten bekommen und nach reiflicher Überlegung nicht zugesagt.
Nun hat Silvia Palmigiano das Projekt übernommen und mich mit einem neuen Ansatz angefragt, ob ich nicht doch teilnehmen will.
Die Info die sie mir diesmal dazu schickte hörte sich gut an. Es sollte nun um Heilungsansätze der Traumata der Kolonialgeschichte gehen und was Künstler heute dazu beitragen. Außerdem um die Missionsgeschichte Namibias. Ich war vorsichtig optimistisch. Das sind Themen zu denen ich einiges zu sagen habe und mit denen ich mich seit vielen Jahren auseinandersetze und darüber recherchiere.
Ich war skeptisch bis misstrauisch, aber nach zwei Zoom Vorgesprächen und einem persönlichen, ausführlicheren Kennenlernen, sagte ich zu.
Sie hatte mich damit überzeugt, dass hier endlich mal jemand zu sein schien, die einen – mir wichtigen – Aspekt herausgreift (Heilung) und es in dem geplanten Film darum gehen soll, dass wir Namibier unsere Geschichten erzählen können. In meinem Fall durch meine Kunst und meine persönliche Familiengeschichte. So wurde es mir in den Gesprächen immer wieder bestätigt. Und auch nochmal gegenüber meinem Mann von Frau Palmigiano wiederholt.
Arbeitstitel: NAMIBIA – What has HURT you? How can you HEAL?
Meine Familiengeschichte ist eine recht spezielle Geschichte, eng verwoben mit der Missionsgeschichte. Ich habe mich seit Jahren sehr intensiv mit ihr auseinandergesetzt. Da dieser Film vor allem darauf ausgerichtet werden sollte, auch die Rolle der Mission in der Kolonialgeschichte zu reflektieren, könnte die Geschichte meiner Familie ein sehr informativer, spannender und vielschichtiger Beitrag sein. Es gibt vieles an öffentlich zugänglichen Info Material und ich war bereit, zusätzlich aus unserem sehr umfangreichen, privaten Familienarchiv weiteres Material zur Recherche beizusteuern.
Ich sagte also zu, unter der Voraussetzung, dass ich nur zu diesen Themen sprechen will (Heilung, meine Kunst und die Familien/Missionsgeschichte). Wir haben uns auf drei Drehorte geeinigt. Meine Wohnung in Swakopmund, ein nahegelegenen Ort hinter den Dünen an denen ich viele meiner Arbeiten produziert habe und dem alten Missionshaus in dem meine Vorfahren lange gelebt und gewirkt haben. Um die Drehgenehmigungen zu bekommen, wurden nochmal die genauen Adressen/Locations abgefragt und von mir bestätigt.
Reise nach Namibia
Nach meiner Ankunft am Windhoeker Flughafen, sollte ich eigentlich mit dem Filmteam nach Swakopmund fahren. Ich dachte, dies sei eine gute Gelegenheit letzte Details zum Dreh zu besprechen, da mir vorher wenig Information zum genauen Ablauf gegeben wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine weitere Info. Beispielsweise auf welche der vielen Aspekte aus meiner Familiengeschichte wir uns konzentrieren sollten.
Am Tag meines Abfluges aus Berlin hieß es dann, dass das Team schon voraus fährt. Für mich organisiere man einen Fahrer, der mich nach Swakopmund bringen würde. Somit würden wir uns also erst am nächsten Tag zum Vorgespräch und der Planung des Drehs treffen können.
Dieses Treffen fand nicht statt, da sie dann doch den ganzen Tag unterwegs waren um Locations zu klären. Gegen Abend bekam ich eine Voicemail von der Regisseurin, dass sie an meinem Ort in der Wüste gewesen waren und das der ja wunderbar sei. In den Social Media Stories des Teams sah ich dann allerdings, dass sie an einem ganz anderen Ort waren. Komisch. Das Vorgespräch würden wir dann am ersten Drehtag beim Mittagessen direkt vor dem Dreh machen.
Der erste Dreh, Tag 1
Am Drehtag wollte das Team dann mit einem Dreh an der Promenade von Swakopmund starten. In den Vorgesprächen mit Silvia Palmigiano in Deutschland hatten wir uns ausdrücklich darauf geeinigt, auf diese Art Einstellungen verzichten zu wollen, weil sie in keinem Kontext zu meiner Geschichte stehen.
Ich erinnerte sie daran. Aber sie bestand nun darauf, das es nötig sei, um mich zu ‚verorten‘… Und das es ja sooo toll aussieht und das Kamerateam dort unbedingt mit der Drohne filmen wollte. Also saß ich dort mit fünf Leuten vom Team, die alle diesen Plan im Kopf hatten und mir das Gefühl gaben, dass ich ihnen da jetzt bloß nicht reingrätschen soll. Es gab bis dahin für mich immer noch keine Gelegenheit die inhaltlichen Aspekte zu klären, außer soviel, dass der inszenierte Gang durch die Promenade dazu dient mich kurz allgemein vorzustellen.
Also gut, da wir schon unter Zeitdruck standen und mir angedeutet wurde, dass es eh schon alles knapp ist, (man wolle ja zum Sonnenuntergang bei den Dünen drehen, das ist ja eine so tolle Kulisse), stimmte ich zu.
Das Interview an der Promenade drehte sich darum, dass ich als Namibiern einen deutschen Background haben würde und wie das so wäre. Wir liefen gefühlt 20x die Promenade auf und ab, damit vor allem auch die Drohne viele Shots mit dieser so tollen Kulisse einfangen konnte.
Dieser Ort ist für mich in keiner Weise bedeutungsvoll oder wichtig – dies nur nebenbei, da es ja darum ging meine/unsere Geschichte aus namibischer Perspektive zu erzählen.
Zusätzlich musste ich absurde Fragen beantworten wie: „Wie fühlt sich denn für dich dein Deutschsein an?“ Erinnerung: Ich bin Namibierin.
Endlich fertig. Nun kann es also zu mir nach Hause gehen und ich kann meine (Familien-)Geschichte erzählen, spannende Objekte aus der Zeit zeigen und einen sehr persönlichen Einblick in meine Lebensrealität und Kunst zu dem Thema gewähren.
Der zweite Dreh, Tag 1
Aber nein, nun bestand die Regisseurin darauf, dass wir doch unbedingt durch Swakopmund laufen sollten, damit sie alte Kolonialbauten zeigen können und es wäre für sie ja so wichtig diesen Aspekt doch zu beleuchten.
Ich wiederholte was vorher abgemacht war und warum ich das nicht wollte – das ist nicht meine Geschichte die ich erzählen will und durch die Stadt zu laufen sagt nichts zu meinen Perspektiven über Heilung, Kunst oder die Missionsgeschichte aus. Nun kam ich mir schon fast wie eine Platte mit Sprung vor, wurde aber wieder nicht gehört.
Dieses Mal fühlte ich mich regelrecht genötigt. Das Fünfer-Team redete auf mich ein und sagte wie wichtig das für sie sei oder stehen teils genervt daneben, da die Zeit ja davon läuft. Mir wird subtil vermittelt, dass ich diejenige bin, die sich gerade querstellt.
Die Regisseurin hat immer mal wieder gesagt: „Wir zwingen dich ja zu nichts, du entscheidest, ABER, dies ist was wir wollen und geplant haben.“ Auf unsere ursprüngliche Abmachung wollten sie aber auch nicht eingehen.
Schlußendlich einigten wir uns als Kompromiss darauf in einem Café zu filmen.
Mir dämmerte langsam, dass unsere Abmachung der Drehorte für sie entweder völlig nebensächlich war, oder von vornherein gar nicht Teil ihres internen Drehplans, mir das nur nie mitgeteilt wurde. Der Dreh in meiner Wohnung wurde offensichtlich schon im Vorhinein gecancelt. Somit würde ich keine der geplanten persönlichen Erbstücke aus der Kolonialzeit, Fotos, Dokumente oder Kunst zeigen können, die ich für relevant hielt.
Also hoffte ich immerhin beim Kaffee ein wenig zu meiner Familiengeschichte sagen zu können. Ich konnte aber nur auf die Fragen reagieren, die mir gestellt wurden. Es gab ja kein vernünftiges Vorgespräch und als ich vorab kurz fragte um welche Fragen es sich jetzt handeln soll, hiess es, dass wir das nicht vorher besprechen sollten, damit die Antworten dann frisch und authentisch wirken…
Die Fragen drehten sich unter anderem um die Gebäude und wie befremdlich die Moderatorin es findet hier so viele alte Kolonialbauten zu sehen, das so viel Deutsch gesprochen wird und wie ich dazu stehe. Klar war ich genervt, nach allem was vorher passiert war und nachdem ich mehrmals vorher mit der Regisseurin ausdrücklich gesagt habe, dass ich diese Art von Stereotype-Fragen nicht beantworten will.
Der Ausschnitt des Interviews (30:58), der dann in den Film genommen wurde, verzichtet an dieser Stelle auf die Frage von Aminata Belli – wirkt aus dem Zusammenhang gerissen und suggeriert, ich würde die Kolonialgeschichte verharmlosen und stünde auf der „falschen“ Seite der Debatte.
Ich stand sehr unter Druck, empfand die vorangegangenen Fragen, abgesehen davon, das ausdrücklich abgemacht war, das ich nicht zu solchen allgemein Themen sprechen will, weder offen noch neugierig, sondern konfrontativ und voreingenommen. Ich habe mich umständlich und ungeschickt ausgedrückt. Kann absolut nachvollziehen, wie irritierend meine Einlassungen wirken müssen.
Zitat: „Ich glaube uns (Namibiern) geht es so, dass wir glauben wir haben mit „eurer“ deutschen Geschichte nicht so viel zu tun…“ Da habe ich mich falsch ausgedrückt.
Ich meinte „… mit „eurer“ deutschen Debatte nicht so viel zu tun…“ Denn natürlich gibt es die namibische Debatte. Die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte ist ein fundamentaler Teil unserer Kultur und die Auswirkungen sind im Alltag an vielen Stellen sichtbar und immer spürbar. Und ja, unter den deutschstämmigen Namibiern gibt es auch einige Ignoranten und Leute, die die deutsche Schuld nicht sehen wollen. Aber wie kommt Aminata Belli dazu, mir genau diese Haltung zu unterstellen? Mindestens die Regisseurin musste doch nach den drei langen Vorgesprächen im Vorfeld in Deutschland, und ihrer Recherche zu mir, wissen, dass ich das so niemals gemeint haben kann. Warum bloß hat sie diesen O-Ton von mir so reinnehmen müssen?
Abmoderation im Off: „Imke und ich lesen die Geschichte Namibias offenbar sehr unterschiedlich.“
Mein Eindruck
Der Film wirkt auf mich an einigen Stellen wie ein Werbefilm oder Roadmovie für die deutsche Reporterin Aminata Belli, die ja auch schon auf dem Titelbild zentral inszeniert wird. Das ist nicht nur die allererste Info die der Zuschauer bekommt, sondern auch das, was die vielen sinnfreien Zwischenschnitte, die das großformatige Gesicht der Moderatorin zeigen, zu sagen scheinen. Schöne Einstellung, aber was hat das mit dem Film, dem Thema, den Protagonisten oder Namibia zu tun? Sie hat immer das letzte Wort und scheint die einzige und erste zu sein, die sich mit der deutsch-namibischen Kolonialgeschichte beschäftigt und in dem Film auch wirklich weiß worum es geht.
Der dritte Dreh, Tag 1
Der abgemachte Dreh in der Wüste fand dann pünktlich zum Sonnenuntergang statt. Nicht, wie von mir gewünscht an dem Ort wo ich immer arbeite, sondern an einem anderen Ort, der für mich emotional-traumatisch sehr belastet ist, da ich mich genau dort vor Jahren bei einem Paragliding-Unglück sehr schwer verletzt habe.
Als mir klar wurde, dass wir nicht zu meinem gewünschten Ort fahren und ich fragte warum, hiess es: Ach, dieser war einfacher, es ist ja eh alles das Gleiche und hier ist ein schönerer Hintergrund mit Meer und dem Sonnenuntergang darüber…
Klar, für ein Filmteam das kurz mal reinfliegt ist Wüste halt Wüste und Dünen sind Dünen. Und der Wunsch der Protagonistin ihre Geschichte an den ihr relevanten Orten zu erzählen ziemlich schnuppe, Hauptsache wir bedienen wieder einmal das exotische Namibia-Landschaftsbild.
Trotz meinem sehr ambivalenten Bezug zu dem ausgewählten Ort, blieb mir nichts anderes übrig und ich nutzte endlich die Chance, nun mehr über mich und meine persönliche Beziehung zu dem Land zu erzählen. Leider fand nichts von diesem Material dann einen Platz in dem Film.
Der vierte Dreh, Tag 2
Der nächste Morgen. Wieder einmal hoffte ich, das ich während der Fahrt nach Omaruru mal die Ruhe hätte mit der Regisseurin den Ablauf zu besprechen und auch das, was am Tag vorher gelaufen war und wie unglücklich ich darüber war.
Als ich abgeholt wurde, hielt sie es nicht mal für nötig aus dem Auto auszusteigen um mich zu begrüßen, rief mir nur kurz ein Guten Morgen durchs Fenster und drehte sich wieder zu ihrem Handy. Mir wurde das zweite Fahrzeug bei dem Tonmann und der Reporterin zugeteilt, die durchweg ihr privates Gespräch führten und wenig bis keine Notiz von mir auf dem Rücksitz nahmen. Mir war es recht, ich war müde und noch ziemlich vor den Kopf gestossen von dem Verhalten der Regisseurin und der wieder einmal verpassten Möglichkeit Dinge zu besprechen und klären zu können. Außerdem beschäftigte mich mein Gefühl hier irgendwie völlig fehl am Platz zu sein.
Kurz vor Omaruru war ich für einige Zeit alleine mit Aminata Belli im Auto, während die typischen Drohnenvideos vom Autofahren durch die Landschaft gemacht wurden, ohne die ja keine einzige deutsche Doku über Namibia mehr auszukommen scheint.
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass sie mir ein wenig zuhört und vielleicht sogar etwas daran interessiert ist wer ich wirklich bin.
Nun, in Omaruru, soll es endlich zu der Missionsgeschichte und der Rolle, die meine Vorfahren darin gespielt haben, kommen. Ich möchte davon berichten, wie sie zum Ausbruch des Krieges mehrere Wochen gemeinsam mit den Hereros aus ihrer Gemeinde auf der Flucht waren; wie mein Urgroßvater August Kuhlmann, sich entgegen seiner Vorschriften und Regeln der Mission, zu den Zuständen des Konzentrationslagers öffentlich äusserte. Wie er sich weigerte Hereros in die Konzentrationslager zu schicken, seid er von den Zuständen dort wußte. Wie er an General von Trotha schrieb und flehte, doch Gnade gegenüber den Herero walten zu lassen. Sein Entsetzen über dessen Antwort und seine gefühlte Machtlosigkeit. Oder von der tiefen und wertschätzenden Freundschaft, die seit damals zwischen der Kuhlmann Familie und der Zeraua Familie (aus der Charlotte Zeraua stammt) bis heute besteht. Vielleicht auch, wie wichtig es meiner Großmutter war mir die Geschichte weiterzuvermitteln.
Zu diesem Kontext gab es beim Missionshaus leider keine direkten Fragen, sondern allgemeine, z.B. ‚Was war die Rolle der Mission?‘ oder so ähnlich.
Über meine Vorfahren wird falsch berichtet (32:38) und behauptet, dass sie vor 100 Jahren aus Deutschland in Omaruru ansiedelten. Meine Vorfahren kamen nachweislich schon in 1874 nach Namibia (vor 149 Jahren). Wären sie vor 100 Jahren angekommen, also 1923, hätten sie mit der Kolonialgeschichte gar nichts zu tun. Solch eine Falschbehauptung ist für eine Doku, die aufklären will, schon ziemlich fatal.
Weitere falsche Aussagen: (32:44) „Imkes Urgroßvater baut hier (Omaruru) eine Mission auf.“ (Richtig wäre: Imkes Ur-urgroßvater Eduard Dannert, baute in der Nähe bei Omburu eine Mission auf, und übernahm später, die Mission in Omaruru. August Kuhlmann kam 1898 nach DSWA und gründete 1900 die Missionsstation Okazewa.)
(33:17) Falsch: „Die Kuhlmanns lernen die Sprache der Ovaherero und missionieren sie.“ Richtig wäre: August Kuhlmann lernt die Sprache der Ovaherero und missioniert sie. Seine Frau, Elisabeth Kuhlmann, spricht schon seit ihrer Kindheit fliessend Herero, da sie 1878 in Omburu (Nähe Omaruru) geboren wurde.
Aber auch mein Urgroßvater, der bekannt dafür ist, sich als einer der wenigen Missionare gegen die geltenden Verordnungen gestellt zu haben, wird man in keiner Weise gerecht. Man hört nur über ihn (33:20) ‚Als der Krieg ausbricht kann August Kuhlmann, Imkes Urgroßvater, den Menschen nur bedingt Schutz bieten. Er untersteht der deutschen Regierung und die hat befohlen die Ovaherero zu töten.“ Das grenzt für mich schon an einer Unterstellung, das er Ovaherero getötet hätte, weil ihm das von der Regierung befohlen wurde.
34:34 „August Kuhlmann hat bis zu seinem Tod engen Kontakt zu den Ovaherero seiner Gemeinde.“ Diese Aussage wird dem Verhältnis zwischen A. Kuhlmann und seiner Gemeinde, und besonders der Zeraua Familie, auch nicht gerecht. Bis heute gilt August Kuhlmann unter der Gemeinde als Vertrauter, Freund und Verbündeter. Mit der Zeraua Familie verband ihn eine tiefe Freundschaft, die noch von den Nachkommen beider Familien weitergeführt wird. Die Protagonistin, Charlotte Zeraua, und ihre Mutter, haben regen freundschaftlichen Kontakt mit Nachfahren von August Kuhlmann. Diese Informationen wäre gerade in dieser Doku sehr wichtig.
Mein Eindruck
Leider bekamen meine Geschichten und Überlegungen kaum Raum und es gab im allgemeinen sehr wenig wirklich einordnende Hintergrundinformationen, die etwas über die Kolonialgeschichte und ihrer Vielschichtigkeit aussagen.
Seit Jahren werden viele Bücher, Essays und Doktorarbeiten zu diesen Themen geschrieben und von vielen interessierten Menschen wird intensiv recherchiert – leider wird in der Doku weder auf dieses umfangreiche und detaillierte Wissen zurückgegriffen noch darauf hingewiesen.
Der fünfte Dreh (Tag 2)
Meine Kunst, um die es ja ursprünglich in erster Linie gehen sollte, taucht irgendwann im Hintergrund als Projektion und ohne weitere Einordnung auf. Ich darf kurz den Titel erklären – nur teilweise, bevor es schon den Umschnitt zur nächsten Frage gibt.
Nicht die Frage nach Heilung, aber die Frage nach Schuld…
Das letzte Wort, wie bei allen Protagonisten, hat immer Aminata Belli, die ja unbedingt für den Betrachter das gerade Gesagte der Protagonisten nach ihrer eigenen Meinung einordnet, statt es einfach mal für sich stehen zu lassen.
Zwischenschnitt – Eine weitere große Nahaufnahme von Aminata Bellis Gesicht wie sie mit Schlafzimmerblick die Augen langsam aufschlägt und im Off sagt worum es ihr bei der Reise geht, nämlich nicht um die Frage der Schuld – den die sei ja schon geklärt…
Nun, am Ende des Filmes, möchte sie wissen: wie können wir gemeinsam diese Vergangenheit aufarbeiten?
Schade, dass sie diese Frage nicht von den Protagonisten beantworten läßt, die in Namibia leben und sich seit langem mit genau diesen Fragen beschäftigen.
Die ganze Doku hat wenig mit Journalismus zu tun. Wenn sie als Reporterin ja bereits alle Antworten auf ihre Fragen kennt, so wie sie es vorgibt, hätte sie sich den Weg nach Namibia sparen können. Auch mich hätte man nicht einfliegen brauchen und mit falschen Vorgaben zu diesem Dreh überreden.
Wir Namibier leben seit vielen Jahren gemeinsam in diesem Land und bemühen uns seitdem für uns, auf unsere Art, unsere Lösungen zu finden. Wir LEBEN in dieser Realität. Mal schlechter, mal besser. Einer Realität auch geprägt von 75 Jahren südafrikanischer Herrschaft und Apartheid und einer noch sehr jungen 30-jährigen Unabhängigkeit. Einer Realität mit großen Ungerechtigkeiten, Rassismus und Vorurteilen. Mit Bemühungen, Ausgleich und Toleranz. Mit Gewallt, Kriminalität und Angst. Mit Korruption, Kommerz, Armut und selbstgerechten Leuten in ihren dicken Autos. In einem trockenen Land mit Vergangenheit und Zukunft. Das ist unser Leben.
Ich meine, es steht keinem deutschen Filmteam zu uns auf diese Art zu beurteilen, zu verurteilen, uns vorzuführen oder zu erwarten, wir seien euch eine Rechtfertigung oder Erklärung schuldig, wenn man gleichzeitig alles ausblendet, was nicht in die voreingenommene Storyline passt.
Kaum einer will mit euch sprechen…
In der Doku (42:57) und auf Instagram beklagen die Regisseurin und Aminata Belli beide, dass kaum einer mit ihnen sprechen wollte und suggerieren, es hätte was damit zu tun, dass wir nicht bereit sind unsere Geschichte zu reflektieren. Nein, das liegt an Erfahrungen wie meinen, die leider immer wieder mit deutschen Filmteams in Namibia gemacht werden.
In der Doku spricht sie fälschlicherweise von der deutsch-namibischen Kirche (43:02) (richtig wäre: deutschsprachige evangelisch-lutherische Kirche in Namibia), und sagt: „Niemand aus der Kirche wollte mit mir darüber sprechen“ (43:10). Und dann: „Ich erwarte das gerade Menschen mit Macht und Einfluss Verantwortung übernehmen.“
Nur weil ein deutsches Filmteam zu dem Thema was filmen will, wird erwartet das jemand aus Namibia dazu Stellung nehmen muss und mit Aminata Belli darüber spricht. Wenn sie das nicht tun, scheint es als wolle man ihnen unterstellen sie übernehmen keine Verantwortung.
Wenn der fertiggeschnittene Film am Ende doch, wie so viele vorherige, darauf angelegt ist, die Namibier und das Thema nur einseitig, fehlerhaft und oberflächlich zu zeigen und die deutschsprachigen Protagonisten tendenziös als den dramaturgisch benötigten Sündenbock darzustellen, sollte klar sein, warum kaum jemand bereit ist sich für eure Zwecke instrumentalisieren zu lassen.
Wenn die vielen negativen Kommentare in den sozialen Meiden zu mir, dem Pastor oder den jungen Schülerinnen umkommentiert stehen gelassen werden… Oder wenn Aminata Belli, in ihren Stories einen Kommentar eines ihrer Follower weiterverbreitet, der mich als ignorant bezeichnet, und sehr klein dazu schreibt:
„Muss sagen dass ich es gar nicht als Ignoranz wahrgenommen habe, würde es eher teilweise unreflektiert nennen, aber total offen für Austausch und Gespräch… “
Echt jetzt? Eine Aminata Belli, die für drei Kurztrips zum filmen in Namibia war und wenig über Namibia weiß, wirft mir – Namibierin, dort aufgewachsen, in 5ter Generation dort lebend und mich seit 2004 mit der namibischen Geschichte intensiv befassend – vor, ich sei unreflektiert? Merkt man denn nicht das da etwas ziemlich schief läuft?
Fazit:
Ich war schockiert, als die Doku, in der es um Heilung gehen sollte, plötzlich unter dem Titel „Deutsche Schuld“ vermarktet wird. Dass das die Ausrichtung sein sollte wurde mir bis zum Ende verschwiegen.
Ich finde der Film ist leider eine sehr oberflächliche Kurz-Dokumentation geworden, die voreingenommen ihre eigene Geschichte erzählt hat, kaum die der Protagonisten, der Missionsgeschichte, der Heilung oder die der Kunst. Leider wurde hier wieder einmal die Chance verpasst einen wirklichen Beitrag zur Versöhnung und Heilung zu leisten oder das deutsche Publikum differenziert zu informieren. Statt dessen, scheint es mir, wurden bewusst Vorurteile geschürt.
Imke Rust
Neu-Friedrichsthal, 25. September 2023













